"Die gefühlte Wahrheit durcheinander gebracht"

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Die Akademie veranstaltete eine Diskussion zu "Fake News" im Landtag: Dabei trafen diverse Vorstellungen aufeinander, die von "Schwarmintelligenz" bis zur "digitalen Verschmutzung" reichten.

HANNOVER.  Die Veranstaltung der Akademie im Niedersächsischen Landtag am 4. Oktober zum Thema „Fake News, Wahrheit und Wissenschaft“ hat Hanna Naber als „Premiere“ bezeichnet: „Mit mir als Ihrer neuen Landtagspräsidentin und Ihnen als Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.“ Sie freute sich über die Namenserweiterung der „traditionsreichsten und ältesten, durchgehend existierenden Wissenschaftsakademie Deutschlands“ und forderte Applaus für das deutliche Bekenntnis zu Niedersachsen. Die Akademie sei „eine tragende Säule in der Förderung der Wissenschaft, der Kultur und der demokratischen Diskussion in unserem Bundesland“.

Akademiepräsident Prof. Daniel Göske betonte, wie wichtig der Austausch an sich sei. „Politik entsteht im Gespräch – Wissenschaft auch, ganz besonders in der Akademie“. Er verwies dabei auf die Publikationsreihe „Akademie im Gespräch“, die aus Vorträgen von Akademiemitgliedern zu gesellschaftsrelevanten Themen hervorgegangen sei. Darunter jüngst ein Heft zu „Fake News“. Zwei Autoren dieses Heftes, Prof. Stefanie Dehnen und Prof. Gerhard Lauer, hielten an dem Abend im Landtag Impulsvorträge und boten reichlich Stoff für die sich anschließende Diskussion. Vor allem Lauer hatte am Ende der Veranstaltung Nabers „gefühlte Wahrheit durcheinander gebracht“, wie die Landtagspräsidentin bemerkte.

Zunächst aber bestätigte Dehnen, die Professorin für Anorganische Chemie am Karlsruher Institut für Technologie ist, in etwa, was Naber eingangs als „digitale Umweltverschmutzung“ bezeichnet hatte. „In den Naturwissenschaften wird im Internet jede Menge falsches Wissen verbreitet“, sagte sie. Sie beklagte auch, dass es heute schwerer denn je sei, die Kontrolle über die Qualität fachwissenschaftlicher Publikationen zu erhalten. Neue technische Angebote – von seriösen Preprint- Servern bis hin zu dubiosen Online-Journalen – machten ungeprüfte Veröffentlichungen möglich. Falschmeldungen hätten dabei eine hohe Erfolgsquote, vor allem wenn sie spektakulär dargeboten würden. Sie empfahl eine „neue Taktik“ für wissenschaftliche Veröffentlichungen im Netz. Neben Aspekten zur „Wahrhaftigkeit der Berichterstattung“ sprach Dehnen aber auch an, wie nahe man der „Wahrheit“ in den Naturwissenschaften überhaupt kommen könne. Diese bilden die Realität grundsätzlich immer nur annähernd ab, womit man aber umgehen kann:  „Jedes Messgerät hat einen Fehler, den man kennen und angeben muss.“ 

Lauer, der an der Universität Mainz Buchwissenschaft lehrt und Experte für Digital Humanities ist, hält die sozialen Medien und das Internet dagegen überwiegend für eine Bereicherung des öffentlichen Diskurses. Das Internet verglich er mit einer riesigen Bibliothek. „Es gibt Podcasts über 60 Stunden von höchster Qualität über die Geschichte von Byzanz“, gab er als Beispiel zu bedenken. Und: „Fast alle lesen heute mehr Zeitungen online als früher offline.“ Die neuen Medien würden nur von wenigen Personen und Regimen missbraucht, für die Gesellschaft allgemein könne das aber nicht gelten. Lauer vertraut auf eine „Schwarmintelligenz“, die Falschmeldungen schnell korrigiere, und auf den Menschen als soziales Wesen. „Wie sehen die anderen mich, wenn ich diese Nachricht weitergebe“ – dieser Gedanke gehe jeder Mitteilung als Selbstkontrolle voraus.

Allerdings räumte Lauer ein: „Je digitaler die Gesellschaft wird, desto gebildeter muss sie sein.“ Diese Voraussetzung hielt nicht nur Göske für „schwierig“. Auch auf die künstliche Intelligenz blickt Göske, der hauptamtlich an der Universität Kassel Amerikanistik lehrt, mit Sorge. An der Uni zerbrächen sich gerade alle Lehrenden den Kopf, wie mit ChatGPT umzugehen sei und ob es dafür etwa jährliche Fortbildungen geben müsse.

Am Ende standen viele Fragen im Raum: Woran erkennt der Laie, dass er es mit einer Falschmeldung zu tun hat? Wie könnte eine rasche und zugleich wissenschaftliche Qualitätskontrolle aussehen? Auf dem folgenden Empfang, zu dem die Landtagspräsidentin geladen hatte, diskutierte man weiter. alo