Akademie arbeitet ihre dunkle Vergangenheit auf

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Am 9. November 2023 hat die Akademie eine Gedenktafel enthüllt, auf der die Namen von 29 Mitgliedern genannt werden, die während der NS-Zeit ausgeschlossen wurden. Auch fünf Mitglieder, die in Reaktion darauf austraten, werden aufgeführt.

GÖTTINGEN. Das Datum war bewusst gewählt: Am 9. November 2023, dem Jahrestag der Novemberprogrome des NS-Regimes gegen die deutschen Juden im Jahr 1938, hat die Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vor ihrem Gebäude in der Theaterstraße 7 eine Gedenktafel enthüllt, mit der sie sich ihrer Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus stellt. Die Gedenktafel benennt die 29 Mitglieder der Akademie, die während der nationalsozialistischen Herrschaft aus rassistischen und politischen Gründen ausgeschlossen oder zum Austritt genötigt wurden. Die Tafel nennt auch die Namen von vier Mitgliedern, die in Reaktion darauf aus der Akademie austraten. Rund 60 Besucher waren zu der Veranstaltung gekommen.

Die Enthüllung der Gedenktafel bildete den Abschluss eines Vorhabens, mit dem die Akademie ihr Verhalten während des Nationalsozialismus sowie in den vorangegangenen und den nachfolgenden Jahren intensiv aufgearbeitet hat. Den Anstoß dazu hatte 2014 der damalige Präsident Prof. Stefan Tangermann gegeben. Er wollte bei der Enthüllung der Tafel sprechen, war aber kurzfristig erkrankt. Vizepräsidentin Prof. Andrea Polle sprang ein und las seine Rede vor. Die Tafel mache öffentlich sichtbar, welch schwere Bürde auf der Akademie laste, hieß es darin. Und: „Was sie aber bestenfalls andeuten kann, ist die Scham, die wir heute über das Verhalten unserer Institution empfinden.“ Altpräsident Tangermann bedauerte zudem, dass es zu lange gedauert habe, sich der unrühmlichen Geschichte zu stellen, und bezeichnete es als „schwache Entschuldigung“, dass andere Wissenschaftsakademien in Deutschland dies auch heute noch nicht getan hätten.

Für die Aufarbeitung der Vergangenheit hatte die Akademie eine Kommission eingerichtet, die Prof. Dirk Schumann geleitet und die Bedeutendes geleistet hat: Für eine größere Öffentlichkeit konzipierte sie zunächst die Ringvorlesung „Forschung im ‚Zeitalter der Extreme‘. Akademien und andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen im Nationalsozialismus“ im Wintersemester 2017/18 und veröffentlichte dazu einen Sammelband. Außerdem stellte sie mit Erfolg einen Forschungsantrag im Programm Pro Niedersachsen, der eine umfangreiche Arbeit der Historikerin PD Dr. Désirée Schauz möglich machte. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Umkämpfte Identitäten“ 2022 publiziert, und die Studie im vergangenen Januar der Öffentlichkeit vorgestellt.

Im Wesentlichen hat Schauz herausgearbeitet, dass sich die Akademie 1938 der Anordnung des Reichswissenschaftsministeriums gebeugt hatte, jüdische Mitglieder auszuschließen. Die betroffenen inländischen Mitglieder drängte sie zum Austritt, während sie bei den ausländischen Mitgliedern zunächst zurückhaltender agierte. „Und zwar aus Furcht vor internationalem Ansehensverlust der Akademie“, wie Schumann sagte. Der Historiker kam auch auf die aktuellen Geschehnisse zu sprechen, äußerte vor allem sein Entsetzen darüber, dass der Antisemitismus hierzulande wieder unverhüllt zum Ausdruck gebracht werde. „Dem müssen wir alle entschieden entgegentreten“, mahnte er.

Bürgermeisterin Onyeka Oshionwu danke der Akademie im Namen der Stadt, ein wichtiges Zeichen gegen das Vergessen gesetzt zu haben. Zugleich gab sie zu bedenken, dass man ihre Geschichte während dieser finsteren Epoche nie losgelöst von der Stadtgesellschaft sehen könne. „Deswegen bleibt es auch heute eine gemeinsame Aufgabe von Wissenschaft und Zivilbevölkerung, Menschenfeindlichkeit keinen Platz zu bieten und stattdessen für Toleranz und Vielfalt einzustehen.“ alo