Abt. III: Repräsentationen sozialer und politischer Ordnungen in Residenzstädten

Die dritte Abteilung des Handbuchs dient der exemplarischen Vertiefung und vergleichenden Systematisierung des Projekts aus kulturgeschichtlicher Perspektive. Ziel ist die Analyse von Formen und Praktiken der Repräsentationen sozialer und politischer Ordnungen, wobei sowohl visuelle als auch performative Zeichensysteme in den Blick genommen werden. Berücksichtigt werden alle Formen, Medien und Aspekte der Repräsentation in den Residenzstädten des Alten Reiches: bildkünstlerische Medien, Architektur, städtebauliche Programme und Entwürfe, performative Medien, Sammlungen aller Art sowie die Formen und Praktiken der Feste und des Zeremoniells. Ein wesentliches Anliegen der Forschungsarbeit besteht darin, über den langen Untersuchungszeitraum des Projekts sowohl die wachsende Komplexität und Kanonbildung künstlerisch-kommunikativer Medien als auch die Veränderungen in ihrer Wertigkeit und Hierarchie im Dienste höfischer und städtischer Kommunikation und Repräsentation nachvollziehen und die Anteile ihrer Produzenten bzw. Vermittler (Auftraggeber, Künstler, Eliten) genauer klären zu können. Dem Medienbegriff kommt dabei die Funktion eines Sammelbegriffs zu: Er soll als bewusst quellenfern gewählter Oberbegriff die in der Sprache der zeitgenössischen Quellen nicht unter einem Begriff subsumierbaren Repräsentationen von Kunst und Architektur über Museen, Kunst-  und Naturaliensammlungen bis hin zu den performativen Repräsentationen  – Zeremoniell, Um- und Einzüge, Prozessionen usw. – zusammenfassen.

Im Vordergrund steht  dabei die städtische Perspektive, zu berücksichtigen sind aber ebenso Formen höfischer Repräsentation, soweit sie Fürst, Hof und Herrschaft in der Stadt sichtbar machen. Gerade die Berührungen und Austauschbeziehungen zwischen der Stadt auf der einen, Fürst und Hof auf der anderen Seite sind unter strukturellen wie personellen Aspekten zu beachten. Das besondere Interesse gilt also der Frage nach visuellen und performativen Ausdrucksformen der Polarität, Kooperation und Koexistenz der städtischen und höfischen Sphären in ihrem Verhältnis zueinander wie auch in ihren jeweiligen Binnenstrukturen. Visuell waren diese Sphären im städtischen Raum mittels verbindender oder auch hermetisierender Elemente (z.B. Blickachsen, Straßenzüge, Gebäudepositionierung, Befestigungsanlagen, Lage des Schlosses) in der Regel eng aufeinander bezogen und miteinander verzahnt, was sowohl die im Laufe der Jahrhunderte ‚gewachsenen‘ Residenzstädte als auch die systematisch angelegten Plan-  und Idealstädte (z.B. Ludwigslust, Kassel, Mannheim, Karlsruhe, Rastatt) betrifft. Diese Verzahnung kommt vor allem in der Durchsetzung des Stadtgefüges und der Besetzung des Stadtraums mit höfischen Funktionsbauten (Verwaltungs, Militär-, Memorial- und sonstigen Repräsentationsgebäuden), aber auch den erst in den letzten Jahren stärker beachteten adligen bzw. fürstlichen Stadthöfen zum Ausdruck. Ihre spezifische, oftmals an der höfisch-fortifikatorischen Formensprache des Residenzschlosses orientierte Gestaltung sorgte für wohlkalkulierte politische Zeichensetzungen im städtischen Raum. Ähnliches gilt für performative Praktiken: Einzüge und Prozessionen, Fest und Zeremoniell konnten der Selbstvergewisserung und Stabilisierung der sozialen Konfigurationen ‚Stadt‘ und ‚Hof‘ dienen, ebenso aber ihrer Zusammenführung und Verbindung oder gar ihrer gegenseitigen Vereinnahmung. In diesem Kontext müssen auch Konzeption und Gebrauch der unterschiedlichen Bildmedien (angefangen bei den Porträts und Wappen über die Historien- und Stifterbilder bis hin zu den Festdekorationen und -beschreibungen) einer eingehenden Untersuchung unterzogen und nach der Bedeutung der repräsentativen Ausgestaltung von städtischen Außen- und Innenräumen (zu letzteren gehören vor allem Rathäuser und Kirchen) für die angemessene Bewertung des Verhältnisses von Polarität, Kooperation und Koexistenz der höfischen bzw. städtischen Sphären gefragt werden.

Aufbau: Die Handbuchabteilung III umfasst drei Bände –  zwei regional geordnete Bände mit exemplarischen Analysen sowie ein systematisch gegliederter Band:

Bände III/1 und III/2 (exemplarischer Teil): Die Bände III/1 und III/2 liefern exemplarische Analysen zu jeweils zwölf Orten, deren Auswahl sich in Koordination mit Handbuchabteilung II nach typologischen Kriterien richtet und den Forschungsstand wie die geographische Streuung berücksichtigt.

Die Beiträge betreffen zum einen visuelle Zeichensysteme, Hierarchie und Synergie der künstlerischen Medien, Architektur- und Raumprogramme, Innen- und Außenraumgestaltungen sowie  -ausstattungen, besondere Bau-  und Raumtypen wie z.B. Schlösser und Rathäuser mit ihren repräsentativen Funktionsräumen, Stadtkirchen mit ihren Adels-  und Bürgerständen, dynastische und bürgerliche Grablegen, Schlosskapellen, Zeughäuser und Befestigungsanlagen, Theater, Museen, Wunderkammern, Kunst- und Naturaliensammlungen. Zum anderen sind performative Repräsentationen einzubeziehen: Festveranstaltungen, Zeremoniell, Empfänge, Um- und Einzüge, Prozessionen, entsprechende städtische und höfische Regulierungen und Verordnungen. Berücksichtigt werden personengeschichtliche Aspekte, indem der Blick auf Produzenten und Rezipienten, auf Teilnehmer und Publikum gerichtet wird (Auftraggeber, Künstler, Baumeister, Eliten, Hofangehörige und Stadtbewohner). Gerade die in städtischen wie höfischen Diensten stehenden Künstler bzw. Handwerker bedürfen hinsichtlich Einkommensstruktur, Status und Prestige, sozialer und regionaler Herkunft sowie der unterschiedlichen Einbindung in die städtischen wie höfischen Netzwerke einer differenzierenden Untersuchung.

Die insgesamt 24 Studien der beiden exemplarischen Bände der Handbuchabteilung III werden mit ihren je spezifischen Fragestellungen fünf Gliederungspunkten zugeordnet, die das Thema unter Anlegung zentraler analytischer Perspektiven des Forschungsprojekts strukturieren und auf denen auch die Ordnung des systematischen Teils (Handbuchband III,3) aufbaut. Diese Forschungsperspektiven, die für die Handbuchabteilungen II und III parallel gesetzt, inhaltlich zum Teil aber differenziert ausgestaltet sind, basieren auf den miteinander verbundenen Koordinaten von Zeiten, Räumen und Praktiken:

I.       Zeiten und Prozesse. Kontinuitäten – Zäsuren – Transformationen
II.      Räume und Beziehungen. Orte – Verortungen – Bezüge
III.     Praktiken (1): Bauen und Ordnen. Ideen – Planung – Gestaltung
IV.     Praktiken (2): Präsentieren und Veranschaulichen. Darstellungen – Zeichen – Performanz
V.      Praktiken (3): Vermitteln und Überliefern. Medialität – Imagination – Erinnerung

Band III/3 (systematischer Teil): Der systematische Teil bietet eine Synthese des erreichten Forschungsstandes und baut sowohl auf den exemplarischen Studien der Handbuchbände II,1-2 auf als auch auf dem Material, das in den Ortsartikeln der Handbuchabteilung I vorgelegt wurde. Die Residenzstädte des Alten Reiches werden damit abschließend auf einer allgemeineren Ebene betrachtet, ohne jedoch die erheblichen Differenzen des Gegenstandes einzuebnen. Vielmehr sind die Unterschiede, die zwischen den Residenzstädten im synchronen wie diachronen Vergleich bestehen, typologisch einzuordnen. Dabei ändert sich die Perspektive von der Deskription einzelner Orte und der Bearbeitung exemplarischer Fragestellungen hin zur systematischen Darstellung von Sachthemenbereichen. Im Ergebnis soll dieser Gegenstand dem Benutzer des Handbuchs unter unterschiedlichen sachlichen Gesichtspunkten in überschaubaren Texteinheiten erschlossen werden, die zugleich wiederum auf die anderen Handbuchbände verweisen.

Die im exemplarischen Teil angelegte Gliederung in fünf Forschungsperspektiven wird auch dem systematischen Teil zugrunde gelegt, um den Arbeitsprozess wie die spätere Benutzung durchgehend zu strukturieren und entsprechende Bezüge herzustellen. Jeder dieser fünf Forschungsperspektiven werden vier bis acht Sachartikel zugeordnet, die jeweils einem begrenzten, gleichwohl nicht zu eng gewählten Thema gewidmet sind. Über Verweise werden Querbeziehungen zu den exemplari­schen Studien wie zwischen den Sachartikeln, je nach Bedarf auch zu den Ortsartikeln hergestellt. Ergänzend wird zu jeder der fünf übergeordneten Forschungsperspektiven ein Text aufgenommen, der neben ei­ner konzeptionell geleiteten übergreifenden Skizze der weiteren inhaltlichen Vernetzung der systema­ti­schen Sachartikel und der exemplarischen Studien dient.