Ortsnamen sind als Quellen der Geschichte von einzigartigem Wert. Aufgrund ihrer Stabilität überstehen sie Völkerwechsel, mit ihrer Hilfe können verschüttete Beziehungen sichtbar gemacht werden. Aufgrund ihres Alters kann ihre Bearbeitung aber keineswegs nur auf eine Sprache oder Sprachengruppe beschränkt werden. Gerade die ältesten und damit wichtigsten Ortsnamen können nur aus einem übernationalen Gesichtspunkt heraus sinnvoll erklärt und gedeutet werden.

Dabei hat sich in den letzten Jahren ein bestimmter Bereich in Deutschland als besonders interessant herauskristallisiert. Die Namen Westfalens, Bremens und Niedersachsens scheinen in auffallender Weise Beziehungen zu europäischen Nachbarländern zu besitzen, vor allem zu England, den skandinavischen Ländern und dem östlichen Mitteleuropa (vor allem dem Slavischen und dem Baltischen). Ob es sich hier nur um eine begründete Annahme handelt, kann nur eine intensive Aufarbeitung des gesamten Ortsnamenmaterials des Untersuchungsgebietes erweisen. Nach einem Wort von H. Krahe sind „Namen ... für uns kostbarstes Material, das einzige oft für die ethnographische Erforschung frühester Zeiten – und vor allem das sicherste“. Und für Jacob Grimm waren die Eigennamen die ältesten Zeugnisse menschlicher Sprache, „deren Ergründung Licht über die Sprache, Sitte und Geschichte unserer Vorfahren“ verbreitet.

Eine Untersuchung des Ortsnamenschatzes der Länder Westfalen, Niedersachsen und Bremen ist für die Vor- und Frühgeschichte Europas deshalb von besonderer Bedeutung, weil hier bis zum heutigen Tag eine gravierende Forschungslücke besteht und gerade dieses bisher nicht untersuchte Territorium mit den benachbarten deutschen Ländern wie dem Rheinland, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Hessen in engstem Kontakt steht. Außerdem ist es nach den Untersuchungen der letzten zehn Jahre in auffallender Weise mit weiten Bereichen der Germania, ferner mit dem westslavischen Sprachgebiet und in seinen ältesten Spuren mit dem Baltikum und einem altslavischen Siedlungsgebiet in Südpolen und der Ukraine verbunden.

Die Relevanz der Ortsnamenforschung liegt nicht nur in der Frage nach der Bedeutung des einzelnen Namens. Zwar ist die Undurchsichtigkeit der geographischen Namen immer wieder Auslöser für die Frage: „Was bedeutet dieser Name eigentlich?“, aber daraus allein ergeben sich nur bruchstückhafte Einsichten in die Sprach- oder Siedlungsgeschichte.

Weiterreichende Erkenntnisse erschließen sich erst dann, wenn ein größeres Gebiet namenkundlich untersucht ist. Erst dann gelingt es, die ursprüngliche Bedeutung eines einzelnen Namens in ihren Grundzügen zu erfassen. Deshalb strebt eine zusammenfassende Auswertung onomastischer Forschung auch immer wieder und mit Recht nach einer kartographischen Erfassung des gesammelten Materials und der verschiedenen sprachlichen Ebenen, mit denen die Namen verzahnt sind.