Am 3. Mai 1945 besetzte die britische Armee Hamburg und beendete damit die über 12-jährige Hitlerdiktatur. Am 7.Mai wurde in einer turbulenten Fakultätssitzung, die im altphilologischen Seminar stattfand, Bruno Snell als bekannter Gegner der NAZIs zum Dekan der philosophischen Fakultät gewählt.1 In dieser Funktion konnte er am 12. Mai dem Direktor des Seminars für klassische Philologie, Prof. Bruno Snell, mitteilen, dass die Staatsverwaltung schon am 3. April die von Snell als Direktor des Seminars am 9. Februar beantragte Einrichtung für griechische Lexikographie als besondere Abteilung des Seminars genehmigt hatte.2

Eine „Gründungssitzung“ hatte schon am 13. März mit folgenden fünf Personen stattgefunden: die Professoren Snell und Diller (Hans D. vertrat zu der Zeit den lateinischen Lehrstuhl in Hamburg), der Assistent Dr. Siegmann, Frl. Dr. Eva-Maria Voigt und der Student Walter Jens. Entgegen dieser durch Protokolle gestützten Datierung hat Snell später 3 die Gründung des Archivs auf 1944 datiert. Das geschah wohl nur in pectore.4

In dem Schreiben vom Februar hatte Snell die Aufgaben des geplanten Archivs beschrieben. Ein Gesamtkatalog der griech. Wörter (große Zettelkasten wie in München) sollte erstellt und einzelne Speziallexika (genannt werden ein Lexikon zu Homer, eins zu den archaischen Lyrikern und eines zu Aischylos) gedruckt werden. „Es würde also mit der Zeit ein THESAURUS LINGUAE GRAECAE heranwachsen“. Damit ist das Stichwort gegeben: der Thesaurus. Die nach der Gründung des THESAURUS LINGUAE LATINAE im Jahre 1894 international geführte Debatte über ein ähnliches Unternehmen für das Griechische hatte kein Ergebnis gebracht5. Snell und sein 1937 emigrierter Kollege Ernst Kapp griffen, so Snell,6 in den 30er Jahren Überlegungen von Herrmann Diels auf und entwickelten das Konzept von allgemeiner Verzettelung und Speziallexika, das Snell dann nach dem Zweiten Weltkrieg umzusetzen versuchte. Aber trotz großer internationaler Unterstützung und der Umbenennung des Archivs für griechische Lexikographie in Thesaurus Linguae Graecae ist aus diesem Teil des Vorhabens gar nichts geworden. In den Archivschränken und Regalen in Hamburg finden sich Zettelkästen und viele unaufgeschnittene Teubner-Druckbögen. Es gelang nicht, das nötige Geld zu beschaffen, es gibt keinen Beschluss, diese Arbeit zu beenden, sie hörte einfach auf.

So war es denn folgerichtig, dass Bruno Snell im Jahr 1972 der Bitte von Ted Brunner nachkam, ihm die Nutzung des Namens Thesaurus Linguae Graecae zu gewähren für sein Vorhaben, in Irvine die griechische Literatur der Antike elektronisch zu speichern und verfügbar zu machen.

 

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1     Das Protokoll dieser Sitzung ist im Archiv der Universität erhalten. Zu Snells Haltung im 3. Reich s. L.Zieske, „‚O’, ‚ου’ und ‚όχι’.75 Jahre BRUNO SNELLS „Das I-Ah des Goldenen Esels““, Hermes 138 (2011), 119–23 mit vielen wichtigen Hinweisen.

2      Die Briefe Snells vom 9. Februar (als Institutsdirektor) und vom 12. Mai 1945 (als Dekan) sind abgedruckt bei W. Beck/ D.Irmer 1996, 51f.

3      Von 1948 an, siehe Philologus 97, (1948), 320 und Gnomon 21 (1949), 375

4     Laut (mündlicher) Auskunft von E.M.Voigt vom Sommer 2010 gab es vor der Sitzung am 13. März 1945 keinen offiziellen Termin, auf dem sich der Kreis um Snell mit dem “Archiv” befasst hätte.

5      Über diese Debatte informiert kurz Stuart Jones im Vorwort zur 9. Auflage von Liddell-Scott, 1940. Der Text von Diels ist auch abgedruckt bei Beck/Irmer 1996, 34

6      s. Beck/Irmer 1996, 31.